Schon vor Jahren zeigte die vom Robert-Koch-Institut geführte KiGGS-Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, dass 18-22% der Vorschulkinder bereits diagnostizierte Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere Störungen des Sozialverhaltens, Ängste und ADHS aufweisen. Die einzelnen Ergebnisse der ersten Erhebung dieser großangelegten bundesweiten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen finden Sie hier.
Aus den Ergebnissen dieser Studie ist unser Anliegen gewachsen, mit dem affenstill-Programm die Kinder zu stärken, ihnen Selbstvertrauen und die Möglichkeit der Selbstregulierung mit auf den Weg zu geben und schließlich dazu beizutragen, dass sich die Kinder wohl in ihrer Haut fühlen. affenstill orientiert sich an zwei verschiedenen wissenschaftlichen Grundkonzepten. Zum einen am Resilienzkonzept nach Emmy Werner (2007a, 2007b, 2011) und zum anderen am Achtsamkeitskonzept nach John Kabat-Zinn (2010; 2013). Beide Grundkonzepte werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Die Förderung der Resilienz, auch oft als „Immunsystem der Seele“ bezeichnet, gewinnt in der Elementarpädagogik mehr und mehr an Bedeutung (vgl. Hessischer Bildungsplan.) Insbesondere in der Gesundheitsförderung bildet die Resilienzförderung neben Bewegung und Ernährung die dritte wichtige Säule in der Präventionsarbeit. Beim Resilienzkonzept handelt es sich um einen multidimensionalen und äußerst komplexen Ansatz. Diese Komplexität führt dazu, dass es in der Literatur verschiedene Definitionen für den Begriff Resilienz gibt (vgl. Grotberg 2011, S. 51; Wieland 2011, S.185; Fröhlich-Gildhoff u.Rönnau-Böse 2014). Das Programm affenstill verwendet folgende Definition als Arbeitsdefinition nach Wustmann (2004, S. 18):
„Resilienz meint eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken.“
Die empirischen Befunde der Resilienzforschung (vgl. z.B. Werner 2007a; 2007b; 2011; Wustmann 2004; Laucht et. al. 2000; Laucht u. Schmidt 2005) zeigen, dass Resilienz keine angeborene Kompetenz ist, sondern während des Entwicklungsprozesses von einer Person angeeignet und erlernt werden kann. Diese Tatsache macht deutlich, dass eine frühe und kontinuierliche Förderung der Widerstandsfähigkeit bei allen Kindern für ihre gesamte Entwicklung förderlich ist. Das folgende Rahmenmodell der Resilienz zeigt noch einmal die Komplexität dieses Phänomens:
In der Abbildung werden die unterschiedlichen Wirkmechanismen, Faktoren und Ebenen sichtbar. Es gibt demnach nicht nur eine Ebene und einen Wirkmechanismus, die im Resilienzprozess eine Rolle spielen. Vielmehr wirken verschiedenste Faktoren, z.B. Schutz-, Risiko- und Resilienzfaktoren auf verschiedenen Ebenen und unterliegen verschiedenen Wechselwirkungen und Einflüssen.
affenstill findet im Rahmen der Kita statt und bezieht sich in den zehn Einheiten hauptsächlich auf die personelle Ebene im Resilienzprozess. Sie ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer psychisch widerstandsfähigen Persönlichkeit. Das Programm legt das Hauptaugenmerk vor allem auf die Förderung der Selbststeuerung und die Förderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die anderen Resilienzfaktoren, welche untrennbar dazugehören, werden automatisch mit gefördert.
Neben der Resilienzförderung steht die Vermittlung von Achtsamkeit im Zentrum des Präventionsprogramms. Auch wenn das Wort Achtsamkeit zum Teil gesellschaftlich fast schon inflationär gebraucht wird, hat es in den letzten Jahren im wissenschaftlichen, insbesondere im neurowissenschaftlichen und medizinisch/psychologischen Kontext stark an Bedeutung gewonnen. Nach Vorbild des MBSR-Programms, entwickelt von dem Molekularbiologen Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn an der Universität von Massachusetts (USA), wurden zahlreiche achtsamkeitsbasierte Trainingsprogramme zum Teil für unterschiedlichste Zielgruppen entwickelt. Auch affenstill orientiert sich am MBSR-Programm und der Achtsamkeitsdefinition nach John Kabat-Zinn: „Achtsamkeit heißt auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen“. Es geht darum, die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt – den aktuellen Moment – zu lenken und dabei Wahrnehmungen, wie beispielsweise Sinneswahrnehmungen, Körperempfindungen, Gefühle und Gedanken ins Bewusstsein zu lenken. Achtsamkeit bedeutet demnach, die jeweiligen Bewusstseinsinhalte, die in diesem Moment auftreten, wertfrei und offen zu beobachten und anzunehmen, ohne direkt etwas verändern zu wollen.
In unserem affenstill-Programm sprechen wir also von der gelebten Achtsamkeit und legen besonderen Wert auf die praktische Vermittlung.
Nach dem Präventionsgesetz von 2015 sollen Gesundheitsinterventionen für alle Lebensphasen dort stattfinden, wo „Menschen leben, lernen und arbeiten“. Demnach bietet insbesondere die Kita enormes Potenzial, da sie als Bildungseinrichtung auch die Chancengleichheit aller Kinder fördern soll. Vor dem Hintergrund, dass soziale Ungleichheit auch eine gesundheitliche Ungleichheit hervorruft, sind Gesundheitsinterventionen in der Kita besonders geeignet, um die Chancengleichheit zu erhöhen.
Prävention hat eine Veränderung des (Gesundheits-)Verhaltens zum Ziel, in dem sie die individuellen Ressourcen eines Menschen stärkt. Eventuell schon vorhandene Risiken und Verhaltensauffälligkeiten der Kinder sollen durch Präventionsmaßnahmen (z.B. Resilienzförderung) weitestgehend zurückgedrängt werden. Dabei meint der Ansatz der primären Prävention Maßnahmen, die dabei helfen, Krankheiten im Vorfeld zu vermeiden. Das heißt, dass in den meisten Fällen zwar ein Risiko für eine Erkrankung besteht, aber noch keine Symptomatik beobachtet werden kann. Primäre Prävention richtet sich aber auch an Menschen ohne Risikobelastung und setzt dabei auf die Vermittlung von Wissen und Verhaltensmerkmalen, die die Entstehung von Gesundheit fördern und die Entstehung von Krankheit vermeiden sollen. Darunter fällt die Gesundheitserziehung, zu der auch die Resilienzförderung in der Kita gehört.
Fröhlich-Gildhoff, Klaus u. Rönnau-Böse Maike (2014): Resilienz; Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel
Grotberg, Edith H. (2011): Anleitung zur Förderung der Resilienz von Kindern in: Zander, Margherita (Hrsg.):
Handbuch Resilienzförderung; Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Kabat-Zinn, Jon (2013): Gesund durch Meditation, Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR; Knaur Verlag, München
Kabat-Zinn, Jon (2010): Im Alltag Ruhe finden, Meditationen für ein gelassenes Leben; Knaur Verlag, München
Laucht, Manfred u. Esser, Günter u. Schmidt, Martin H. (2000): Entwicklung von Risikokindern im Schulalter:
Die langfristigen Folgen frühkindlicher Belastungen in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, Jg.32, Heft 2; Hogrefe-Verlag, Göttingen
Laucht, Manfred u. Schmidt, Martin H. (2005): Entwicklungsverläufe von Hochrisikokindern, Ergebnisse der Mannheimer Längsschnittstudie in:
Kinderärztliche Praxis, Jg. 76, Heft 6; Kirchheim-Verlag, Mainz
Werner, Emmy E. (2011): Risiko und Resilienz im Leben von Kindern aus multiethnischen Familien, Ein Forschungsbericht in: Zander, Margherita (Hrsg.):
Handbuch Resilienzförderung; Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Werner, Emmy E. (2007): Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz in: Opp, Günther u. Fingerle, Michael (2007):
Was Kinder stärkt, Erziehung zwischen Risiko und Resilienz; Reinhardt Verlag, München, Basel
Werner, Emmy E. (2007b): Resilienz: Ein Überblick über internationale Längsschnittstudien in: Opp, Günther u. Fingerle, Michael:
Was Kinder stärkt, Erziehung zwischen Risiko und Resilienz; Reinhardt Verlag, München, Basel
Wustmann, Corina (2004): Resilienz: Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern, hrsg. von Fthenakis, W.E., Weinheim; Beltz Verlag, Basel